Thursday 2 September 2010

DIE BIRKE - STEFAN HOHENADL

Gedanken zum Birken-Katalog von Elisabeth Ochsenfeld

Als Max Liebermann sich 1909 sein Sommerhaus am Berliner Wannsee erbauen ließ, waren die von ihm so geschätzten Birken schon da und schienen nur darauf zu warten, in die Gestaltung seines Gartens einbezogen zu werden. Heute leben sie in vielen seiner Bilder weiter. Auch die Mitglieder der Worpsweder Künstlerkolonie, Paula Moderson-Becker, Otto Moderson und Heinrich Vogeler wählten die Birke als häufiges Sujet. Der helle Stamm und die zarten Blätter mögen als Zeichen des Aufbruchs ein willkommener Gegensatz zur nicht nur von Kaspar David Friedrich viel zitierten, eher dunklen deutschen Eiche dargestellt haben. Birken sind ‚internationale‘ Bäume, ihre hohe Anpassungsfähigkeit steht einer ideologischen Deutung eher entgegen.
Ungefähr vierzig Birken-Arten kommen in Europa und Nordamerika, in Asien, auf der gesamten nördlichen Halbkugel vor. Birken stellen wenig Anforderungen an Boden und Klima, sie gedeihen auf nassem wie auf trockenem Grund, in Heidegebieten, auf Dünen und im Moor. Sogar in den Städten, auf Mauerresten. Birken bevorzugen das Licht. Anders als die Eiche, der Ölbaum, oder andere Bäume, stellt die Birke dabei keine Ansprüche an die Ewigkeit. Sie erscheint überall und immer, sie pflanzt sich selber fort. Birken sind wahre Pionierpflanzen.



Ihr Name ist in beinahe allen germanischen Sprachen vertreten und stammt vermutlich von dem indogermanischen Begriff b’erag ab, was man mit glänzend übersetzen könnte. Auffallend ist der starke Wechsel von der hellen, bis ins reine Weiß changierenden Rinde hin zu den dunkleren, oft bis ins Schwarze gehenden Teilen der Borke. Es scheint, als könne dieser typische Helldunkel-Kontrast zwiespältige Gefühle beim Menschen auslösen.
Meine frühesten Erinnerungen an Birken beziehen sich auf neun Bäume im Oberstdorfer Garten meiner Eltern. Als schnellwachsende Bäume wurden sie gepflanzt, um die möglicherweise neugierigen Blicke der zahlreich an unserem Grundstück vorbei spazierenden Menschen abzuwehren. Für mich als kleinen Jungen stellten diese Birken ein Wäldchen dar, das ich als hell, licht und freundlich empfand, wohl auch durch den Gegensatz zu den hohen, schroffen und bis zur Baumgrenze hin meist von dunklen Nadelhölzern bewachsenen Bergen meiner Allgäuer Heimat. Ein besonderer Reiz ging von der permanent abblätternden Rinde der Bäume aus, die mich an Papier erinnerte. Diese Rindenstücke zu lösen, sich anzueignen, erweckte einen gehörigen Zwiespalt der Gefühle in mir, stellte es doch einen durchaus gewalttätigen Eingriff in eine Ordnung dar. Vergleichbar dem Abzupfen von Tapete in unserem Kinderzimmer, einer damaligen Vorliebe meiner Schwester. Wand wie Baumstamm blieben verletzt zurück und die Zustimmung der Eltern erschien mehr als fraglich. Freilich war mir und den Eltern die tiefe Verankerung der Birke im germanischen Volksglauben nicht bewusst. Dieser sah den Baum unter dem persönlichen Schutz der Göttin Freya und es herrschte die Idee vor, dass der Mensch mit dem Entfernen von Rinde einer lebenden Birke den Zorn Thors auf sich zöge! Nur ein vorsichtiges, den Gesetzen der Natur folgendes ‚Pflücken‘ der Rinde könne ein magisches Pergament liefern, das dabei helfen sollte, das Interesse anderer Menschen für sich zu erwecken.



Seit frühster Zeit fühlen sich die Menschen Bäumen stark verbunden. Wie er steht der Mensch aufrecht da, mit den Füßen auf der Erde und dem Kopf hoch im Himmel. Viele religiöse Erfahrungen wurden mit dem Bild des Weltenbaumes, im Norden meist einer gewaltigen Eiche oder auch einer Lärche, beschrieben. Ebenso in der Genesis, mit den Bäumen im Garten Eden, dem Baum der Erkenntnis und dem Baum des ewigen Lebens, Spross aus der Wurzel Jesse. Lorbeerkranz, Friedenspalme und Ölzweig sind göttliche Attribute aus mythischen Quellen, deren tiefe symbolische Bedeutung sich bis in unsere Tage erhalten hat.
Die Verwurzelung der Birke in der Mythologie ist vielgestalt. Birkenzweige wurden zur Geisteraustreibung verwendet, indem man damit sanft über besessene Tiere oder Menschen strich. Wiegen wurden zum Schutz der Kinder aus Birkenholz geschnitzt, aber auch die traditionellen Besen der Hexen sollen aus Birkenzweigen gefertigt worden sein. In katholischen Gegenden schmücken junge, aufblühende Birkenstämme und Zweige die Häuser zur Fronleichnamsprozession, in der Nähe von bäuerlichen Anwesen wurde sie gleichzeitig ungern gesehen, da sie dem Volksglauben nach Blitze anziehen soll.
Schützende wie gefährdende Momente scheint sie zu vereinen, so wie ihr Typus durch die Polarität von schwarz und weiß gekennzeichnet ist. Die starke Beziehung zum Licht vermag ihrer oft gesenkt wirkenden Gestalt nicht zu wiedersprechen, das rastlose Gezitter der langstieligen Blätter im Wind kann in träumerische und melancholische Stimmung versetzen.



Elisabeth Ochsenfelds Birken erlebt der Betrachter zumeist im Detail. Auf eine Verortung im erkennbaren Raum verzichtet sie. Im Einzelbild wie in der Serie überwiegt der flirrende Charakter des sich scheinbar stetig wandelnden Stammes, sowie der Reflektionen des Lichtes im Blattwerk. Ruhepunkte sucht das Auge eher vergeblich, außer auf den klar abgegrenzten Flächen monochromer Farbgebung, die sie in vielen ihrer Bilder begleitend einsetzt. Die so typische hell-dunkel Zeichnung der Stämme wird zum grafisch abstrakten Muster, das teilweise schriftzeichenähnliche Botschaften assoziieren lässt. Es entsteht oft der Eindruck sowohl von Zeitlosigkeit, als auch von Bewegung. Die Materie der Birken löst sich im Licht auf. Die Farbspiele sind nicht alleine vom Baum geschaffen, sondern spiegeln Empfindungen und Stimmungen wieder, die vielleicht kein anderer Baum so hervorrufen kann, wie eben die Birke.


STEFAN HOHENADL (Germany)
August 2009



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