Tuesday 21 September 2010

MANFRED STRECKER

Die Kunst kennt wiederkehrende Motive, über Jahrhunderte, sogar über die Kontinente hinweg. Unter den Bäumen ist es die Birke. Die russischen Realisten ließen sich von dem schmal aufstrebenden Laubbaum faszinieren, der weithin ihre heimatlichen Wälder bis nach Sibirien bestimmt. Auch mehr im Westen, in Finnland, im Baltikum und in Polen schlägt sich die Allgegenwart dieser Baumart im Brauchtum und in den Künsten nieder. Die Birke – Schmuck zu Fronleichnams-Prozessionen mancherorts, liebesstiftend andererseits im Mai – wurzelt aber weltweit, meist eher in abseitigen, in unwirtlichen Lagen. Anspruchsarm, begnügen sich Birken mit kargen Böden – zwischen Dünen strandnah, in der Heide, auf dem Moor, auf Industriebrachen. Dass sie im märkischen Sand den Weg von Max Liebermanns Wannsee-Villa hinab zum Wasser säumen, zeigt sie in ungewohnt kultivierter Umgebung, auf den Bildern des Malers vor dem sonnenbleichen Grün des Rasens und in leicht diesiger, bleich-heller Sommerluft.
 
Heimischer wirkt der Baum im Bruch, auf erdigem Boden, im klaren Licht, das scharfe Kontraste, herbe Farben schafft, unter denen schimmernd, glänzend das immer wieder von Astansätzen und schwarzen Färbungen durchbrochene Weiß der Birkenrinde körperhaft heraussticht. Fernab von den Städten inspirieren sie die Maler, einst der Dachauer Künstlerkolonie zum Beispiel oder – dem kollektiven Gedächtnis stärker eingeprägt – im Worpsweder Teufelsmoor, wie es Bilder von Paula Modersohn-Becker oder Heinrich Vogeler bezeugen.
 
Anpassungsfähig, verändern die Birken in Nuancen und Farbakzenten den Eindruck, den sie geben, nach Bestand und Dichte, in der sie stehen, nach Landstrich und dem natürlichen Licht, das sie dort jeweils umspielt. So im Südosten des europäischen Kontinents, wo sie es als Karpaten-Birken zu einer eigenen Varietät gebracht haben. Birkengehölz kennt die deutsch-rumänische Künstlerin Elisabeth Ochsenfeld von Kindesbeinen an, in weiß aufleuchtender Versammlung der Bäume an Wegen, am Rande der Dörfer, auf unfruchtbarem Land zwischen den Fluren. Für einen Augenmenschen, wie es die Malerin ist, verbinden sich viele biografische – wehmütige, traurige, meist eher freudige – Erinnerungen mit diesem Baum, dessen Bild für sie eine ästhetisch-emotionale Aufladung besitzt. Die Birke ist für sie, wie sie sich im Licht, selbst im Silber des Mondes gibt, von hellem Klang; die Borke des Baums mit ihren Schwärzungen wie Narben und Schrunden ein Gleichnis des Glücks trotz alledem.
 
Elisabeth Ochsenfelds jüngste Birkenbilder sind Übermalungen von Fotografien, aufgenommen im Umfeld eines Landhauses in den rumänischen Westkarpaten. Farbschleier zieht sie vor diesem Grund übereinander, aus farbigen strokes von Acryl, gesetzt mit energischen Hieben, sodass die aus diesem Farbgeschehen hervorscheinenden, licht ragenden, strikt vertikalen Stämme in mal dichterem, mal weiterem Abstand dem Bild wie in einer Partitur einen Rhythmus einschreiben.
 
„Birchscapes“ nennt die Künstlerin die Werkgruppe, weil sie nichts als Birken zeigen, folgerichtig, in einer Anlehnung an den englischen Ausdruck der „landscape“. Der Blickwinkel der Bilder wechselt, zeigt gelegentlich ein Birkenwäldchen in der Ferne, landschaftlich, horizontal, stilisiert in planer Nebeneinander-Reihung der Bäume und der sich ineinander verschlingenden Blätterkronen, rückt dagegen auf den meisten der anderen der Bilder die Stämme so nah ans Auge, dass eine Art All-over-Malerei den Bildträger ausdruckssteigernd überzieht – wobei nirgends Realismus, überall aber gezielte Gestaltung herrscht, oft Farbfläche oder in der Breite abgestufte Farbstreifen gegen Bild, Monochromie gegen Malerei, anonymer Farbauftrag gegen Gestus gesetzt werden.
 
Die Bildabmessungen bleiben überall streng, geometrisch beschränkt, um – wenn etwa nur die alle Gestalt auflösenden Pinselhiebe das Bildtosen durchdringen – dem Furor eine Grenze zu setzen. Bildteile stellt Elisabeth Ochsenfeld nach der Tradition der Andachtsgemälde zu Diptychen oder Triptychen zusammen, was dem religiösen Charakter entgegenkommt, der vielerorts der Birke zugeschrieben wird, zugleich aber dem künstlerischen Temperament wie auch der Ekstase der Betrachtung die Regel weist: Wie Andacht, mystische Versenkung braucht ästhetisches Erlebnis, um Wirkung zu entfalten, die Form.
 
Der Bildaufbau der „birchscapes“ – Schicht auf Schicht über einer großformatig ausgedruckten Fotografie – trägt sinnfällig das künstlerische Konzept. Die Fotografie – wie strittig auch immer ihr Abbildcharakter sein mag – repräsentiert die Wirklichkeit, die Fakten der Welt, die sich in den wechselnden Lebensaugenblicken einer Biografie mit persönlichen Bedeutungen aufladen – wenn auch Elisabeth Ochsenfeld den Farbdruck der zugrunde liegenden Fotografie schon in die Richtung des Farbklimas verändert, das ihrem Bildplan vorschwebt. Kaum mehr zu datieren aber wären nach den malerischen Daten dieser Bilder die Erlebnisse, die sich darin niederschlagen und sich überlagernd, gegenseitig verstärkend oder balancierend zu deren Gesamtstimmung beitragen. Elisabeth Ochsenfelds Birkenbilder sind dicht gewebt wie das Leben, eher allerdings nach seinen glücklicheren Momenten, sie feiern es.
 

MANFRED STRECKER (Germany)

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